Interview für „Frankenpost Hof“, 24.12.2005

 

EINST SÄNGER BEI „SMOKIE“, JETZT MIT NEUEM SOLO-ALBUM AUF TOUR. Der Mann mit der Raspel-Stimme denkt auch mit 55 nicht ans Aufhören: „Ich fühle mich auf der Bühne so richtig gut“

Interview für „Frankenpost Hof“, 24.12.2005

Rainer MAIER

 

Mit seiner früheren Band „Smokie“ wurde der britische Sänger Chris Norman in den siebziger Jahren zum Popstar. „Living next door to Alice“, „Lay back in the arms of someone“, „Mexican girl“ oder „I'll meet you at midnight“ sind nur einige der vielen unvergessenen Hits dieser Formation. Seit mittlerweile 23 Jahren ist der Mann mit der unverkennbaren Raspel-Stimme bereits solo unterwegs. Auch in dieser Zeit konnte Chris Norman große Erfolge feiern, etwa mit dem Schimanski-Tatort-Titelsong „Midnight Lady“ oder jüngst mit der Ballade „Amazing“. Im Januar 2006 kommt in Deutschland sein neues Album „Million Miles“ heraus. Bereits ab Januar wird Chris Norman mit neuer Band auf Tournee sein. Am 12. Januar macht er Station in Coburg, am 9. Februar in Zwickau. Vor dem Tour-Start sprachen wir mit dem sympathischen Vollblutmusiker.

— Mister Norman, 1978 – damals noch bei „Smokie“ – haben Sie in einem Interview gesagt: „Mit 56 Jahren auf der Bühne stehen und Musik machen, das möchte ich nicht.“ Jetzt sind Sie vor ein paar Wochen 55 geworden, für nächstes Jahr steht eine umfangreiche Tournee durch Deutschland und halb Europa an, das neue Album kommt in die Läden ... Was ist denn schief gelaufen?..

— Ach, damals war ich gerade 28. In dem Alter kann man es sich nicht vorstellen, dass man immer noch singt, wenn man mal jenseits der Fünfzig ist. Außerdem gab es in jenen Jahren keine Vorbilder. Heute macht das jeder: Mick Jagger singt noch. Oder Paul McCartney. Oder Johnny Cash; der stand praktisch bis zum letzten Atemzug auf der Bühne. Ich jedenfalls fühle mich kein bisschen anders als damals. Ich genieße, was ich tue, noch genauso, vielleicht sogar mehr. Nur die Zeit rast eben so schnell vorbei.

— Sie haben mal gesagt, Sie wüssten auch gar nicht, was sie sonst machen sollten...

— Stimmt. Ich bin eben nicht der Typ, der Hobbies hat. Ich habe keine Lust, Angeln zu gehen oder Briefmarken zu sammeln. Gartenarbeit interessiert mich auch nicht. Also mache ich mit dem weiter, was mir Spaß macht.

— Mit Musik: Ihr neues Album „Million Miles“ ist mittlerweile die 19. Studio-Platte ihrer Solo-Karriere. 14 neue Songs, alle selbst komponiert und getextet, in Eigenregie produziert und gemastert. Sogar fast alle Instrumente spielen sie auf dem neuen Album selbst. Aber auf Tournee geht es jetzt wieder mit Band?

— Ja. Ich habe eine ganz neue Truppe an meiner Seite. Fünf Musiker werden neben mir auf der Bühne stehen. Wir sind gerade mitten in den Proben. Und in den nächsten Tagen werden wir ein paar Aufwärmkonzerte machen bei unseren Fans in Lettland, Russland und der Ukraine. Dann kommen die ersten regulären Gigs in Deutschland. Wir starten am 10. Januar in Koblenz.

— Mit vier ihrer neuen Musiker haben Sie nie zuvor zusammengearbeitet. Aber der fünfte ist ein alter Bekannter: Pete Spencer, der Schlagzeuger von „Smokie“...

— Ja, Pete ist wieder da. Das wird interessant. Meine Güte, wir haben seit Jahren nicht zusammen auf der Bühne gestanden.

— In der Fangemeinde hält sich ja hartnäckig das Bild, Sie und der Rest von „Smokie“ seien heillos zerstritten...

— Also, Pete und ich hatten nie Ärger. Aber auch mit den anderen sind die Missverständnisse mittlerweile ausgeräumt. Zwischen den Mitgliedern einer Band gibt es immer irgendwelche Probleme – und wir hatten sicher unsere Portion davon, gerade nach meinem Weggang. Aber das war alles schon Anfang der Neunziger. Heute ist das kein Thema mehr. Das liegt lange zurück.

— Kein Blick zurück im Zorn auf die Zeit mit „Smokie“?

— Nein, gar nicht. Ich hatte eine tolle Zeit, es war wirklich eine gute Phase in meinem Leben. Die Kameradschaft in der Band war über viele Jahre großartig. Am Anfang war ich gerade mal 25 und reiste schon um die ganze Welt. Das war fantastisch. Diese erste Welle des Erfolgs... Es war ungeheuer aufregend.

— Würden Sie die Zeit am liebsten zurückdrehen?

— Aber nein. Es ist so viel passiert seither, was ich nicht missen möchte. Was meine innere Zufriedenheit anbelangt, würde ich sagen: Ich war nie glücklicher als heute. Ich habe so viele Freiheiten, in jeder Beziehung. Auch musikalisch: Ich entscheide, welche Songs ich machen will, wie ich sie produzieren will, wie ich sie live präsentieren will. Da redet mir keiner mehr rein.

— Naja, ein bisschen Druck wird schon ausgeübt, oder? Das Publikum will schließlich wenigstens ein paar der alten Songs hören ...

— Ja, klar. Aber ich würde die ohnehin spielen. Man kann doch nicht wesentliche Teile seines musikalischen Backgrounds einfach fallen lassen. Ich will eine Show bieten, die die Leute interessiert. Ich kann mich durchaus in sie hineinversetzen. Wenn ich selber zu einem Konzert gehe, will ich zuallererst unterhalten werden. Neulich war ich bei Paul McCartney im Konzert. Der hat wieder viele alte Beatles-Sachen gespielt. Und ich war ganz aus dem Häuschen. Es war einfach großartig, das zu hören, ihn dabei zu sehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass er sich manchmal sagt: „Ich habe dieses ,Hey Judeґ endgültig satt“. Mir geht es ja auch so: Bei den Proben, wenn ich zum ich-weiß-nicht-wieviel-tausendsten-Mal „Living next door to Alice“ spiele, denke ich: „Ich kann diesen verdammten Song nicht noch einmal singen.“ Aber dann steht man auf der Bühne und es passiert etwas Erstaunliches: Das Publikum liebt den Song, geht mit, singt mit. Diese Reaktion gibt der Sache eine ganz andere Qualität, sie ist der Grund, warum ich die alten Sachen immer noch spiele. Außerdem: Ich fühle mich dann so richtig gut da oben.

— Gerade in Deutschland: Hier haben Sie Ihre treuesten Fans ...

— Meine Fans in Deutschland haben immer zu mir gestanden. Sie waren von Anfang an sehr loyal und sind es geblieben. Aber meine Karriere ist nicht nur eine deutsche Geschichte. In anderen Ländern ist es durchaus ähnlich.

— 2003 haben Sie im deutschen Fernsehen an der Show „Comeback – Die große Chance“ teilgenommen. Viele dachten damals: Wieso Comeback? Chris Norman war doch nie weg?

— Ich habe in meiner Laufbahn ein paar Fehler gemacht, Dinge, die ich zu der Zeit, als sie passierten, für richtig und gut hielt, die ich aber heute nicht mehr so machen würde. Die „Comeback-Show“ fühlte sich lange so an, als wäre sie so ein Fehler. Aber aus heutiger Sicht muss ich sagen: Es war eine gute Entscheidung, da mitzumachen.

— Wie kam es dazu?

— 2003 hatte ich gerade ein neues Album auf dem Markt: „Handmade“. Ich war richtig glücklich damit und überzeugt, es würde gut ankommen. Aber: Kein Radiosender spielte es, kein Fernsehsender bot mir einen Auftritt an. Wir wussten nicht, was wir machen sollten. Da kam im September 2003 der Anruf von Pro7 mit dem Angebot, an der „Comeback-Show“ teilzunehmen. Und ich habe genau so reagiert, wie Sie vorhin sagten: „Comeback? Das brauche ich doch nicht. Das mache ich auf keinen Fall!“ Aber meine CD dümpelte weiter vor sich hin und Wochen später überlegte ich: Was war das mit diesem Comeback-Dingens. Ich informierte mich über die Show, weil ich wollte ja nicht wochenlang in einen Container eingesperrt werden oder im Dschungel Raupen essen müssen oder so einen Schwachsinn. Fernsehen kann ganz schön verrückt sein heutzutage. Aber bei der Produktion hieß es: „Du musst nur jede Woche einen anderen Song singen.“ Ich dachte: „Hey, wenn's weiter nichts ist. Das kann ich.“ Das ganze sollte nur drei Wochen dauern. Aber dann war ich zehn Wochen dabei, bis zum Schluss: Ich hab' gewonnen. Und es war gut: Die Zuschauer konnten zehn ganz verschiedene Facetten von mir sehen. Übrigens: Der Publicity-Effekt war auch da: Von da an lief das „Handmade“-Album gut, die Single „Amazing“ wurde ein Top-Ten-Hit in Deutschland. Und das nach der Show aufgenommene Album „Break Away“ ging sofort in die Top-30.

— Viel zu Hause waren Sie in diesen Wochen aber nicht...

— Nein, aber daran ist meine Familie gewöhnt.

— Sie sind seit 35 Jahren verheiratet, haben fünf Kinder. Hat man als Pop-Star denn Zeit für ein richtiges Familienleben?

— Aber natürlich. Ich habe Unmengen von Zeit mit meinen Kindern verbracht. Von 1988 bis 1994, als sie noch kleiner waren, bin ich sechs Jahre lang nicht auf Tournee gegangen. Ich habe zu Hause Songs geschrieben und aufgenommen, Platten veröffentlicht, TV-Auftritte gemacht. Aber keine Tour.

— Sie stammen aus einer musikalischen Familie: Ihre Großeltern waren bereits während des Ersten Weltkriegs mit einem eigenen Konzertprogramm in ganz England auf Tour, Ihre Mutter trat nach der Schule einer Tanzgruppe bei, sang in Provinz-Theatern. Ihr Vater war Sänger, Stepptänzer und Barpianist sowie Mitglied einer Tanz- und Comedy-Gruppe, die während der dreißiger und vierziger Jahre Auftritte in ganz Europa hatte. Sie standen mit drei Jahren zusammen mit Ihren Eltern und Großeltern zum ersten Mal auf einer Bühne. Werden Ihre Kinder jetzt auch ins Show-Business gehen?

— Keine Ahnung. Michael, zum Beispiel, ist sehr musikalisch. Er ist gerade 21 geworden und studiert Gitarre an einer Musik-Hochschule. Auf meinem neuen Album spielt er übrigens auch mit. Er macht das großartig. Steven ist Drummer, er hat mit 19 schon seine eigene Band.

— Und das Nesthäkchen, Ihre 14-jährige Tochter Susan?

— Die spielt auch Gitarre. Aber nur in ihrem Zimmer. Sie will das erst mal für sich machen. Das respektiere ich. Susan ist ein großer Avril-Lavigne-Fan. Das spielt sie rauf und runter. Aber manchmal gehe ich durchs Haus und plötzlich höre ich eine alte Platte von mir. Ich denke dann: Wer hat denn die aufgelegt? Und es kann jedes der Kinder gewesen sein. Ab und zu haben sie offenbar Lust auf meine alten Sachen. Ein, zwei Mal im Jahr kommen sie auch zu einem Konzert von mir.

— Na, wenigstens kennen die Ihre neuen Lieder schon. Die deutschen Fans müssen noch bis nächstes Jahr warten, bis „Million Miles“ auf den Markt kommt. Ist es nicht problematisch, mit einem neuen Album auf Tour zu gehen, das es im Laden noch gar nicht gibt?

— Das ist aus meiner Sicht irgendwie schief gelaufen. Eigentlich sollte die Scheibe rechtzeitig vor Weihnachten rauskommen. Aber das hat nicht geklappt. Und so mitten in den Weihnachtstrubel hinein wollten wir das Album auch nicht veröffentlichen. Nun ist der 13. Januar als Veröffentlichungsdatum in Deutschland vorgesehen.

— Sie werden das Publikum zumindest am Anfang der Tour also mit einer ganzen Reihe unbekannter Songs überraschen?

— Ja. Wir spielen einige der neuen Sachen im Konzert. Es ist so schade, dass die Fans die Songs noch nicht kennen werden. Aber keine Sorge: Es gibt auch eine Menge Lieder zum Mitsingen. Wir spielen zweieinviertel Stunden und bringen eine große Bandbreite von Songs, ungefähr dreißig, alles in allem. Da sind Sachen aus der „Smokie“-Zeit ebenso dabei wie Lieder aus der „Midnight Lady“-Ära. Und eben die neuen Songs.

— Eines der neuen Stücke ist sogar auf Deutsch: „Alles klar!“

— Naja, eine Zeile im Refrain ist auf Deutsch. Es geht darum, auf Tour zu sein und, egal was passiert, alles im Griff zu haben. Es ist ein richtiger Rock-Song.

— Sprechen Sie überhaupt Deutsch?

— Ja, ein bisschen. Man schnappt so einiges auf über die Jahre. Aber meistens beantworte ich die Frage nach meinen Deutsch-Kenntnissen mit „Nein“, sonst geht es immer gleich: „Sag' doch mal was, Chris...“

— Der Titelsong des neuen Albums ist eine recht melancholische Ballade...

— „A million miles to nowhere“ handelt von meinem Großvater. Er ist 1979 gestorben. Er ist viel herumgekommen in seinem Leben, als junger Mann mit seiner Musiktruppe, später war er in der Marine, hat die ganze Welt gesehen. Er kannte das Leben aus dem Koffer. Aber am Ende seines Lebens war er krank und gebrechlich und sehr traurig. Er hat mal zu mir gesagt: „Irgendwann schreib' ich ein Buch mit dem Titel ,A million miles to nowhereґ, denn ich bin überall gewesen und doch nirgendwo angekommen. Dieser Satz hat mich all die Jahre nicht losgelassen. In dem Lied geht es darum.

— Sie haben die Million Meilen auch schon voll, oder? Wohin geht für Sie die Reise?

— Nicht nach Nirgendwo, das steht fest. Ich bin ganz zufrieden damit, wie die Dinge so laufen. Mein Opa wäre sicher ziemlich stolz darauf, zu sehen, dass ich immer noch Erfolg habe. Dass ich die Dinge tun kann, die ich tue. Es ist ein hartes, manchmal unbarmherziges Geschäft. Man muss es schon sehr mögen, das Show-Business, um es so lange auszuhalten. Aber ich hatte das Glück, dass es für mich die allermeiste Zeit gut gelaufen ist. Dafür bin ich dankbar. Das hätte ich mir damals als Teenager in dem kleinen Nest Bradford in Yorkshire im Norden Englands bestimmt nicht träumen lassen.

— Also: Auch mit 56 auf der Bühne?

— Unbedingt. Und darüber hinaus, wenn's geht.

— Na dann, viel Glück für die Tour und viel Erfolg für das neue Album, Mister Norman. Und herzlichen Dank für dieses Gespräch.

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© Rainer Maier, "Frankenpost Hof" (Deutschland) www.frankenpost.de